Albrecht Schaefer:  

Das Wechselspiel der Beruehrung

 

Ein einfaches Experiment:

1. Ich nehme einen Gegenstand, zum Beispiel einen Bleistift und fahre mit dem Finger an ihm entlang. Die Fingerkuppe ertastet die Oberflaeche des Stiftes. Ich spuere, ob sie glatt oder rauh ist, neu oder durch Gebrauch beschaedigt.

2. Jetzt nehme ich den Bleistift in die eine Hand und fahre mit ihm an einem Finger der anderen Hand entlang. Ich spuere nicht, wie im ersten Experiment, den Bleistift, sondern die Haut meines Fingers.

Meine Aufmerksamkeit war im ersten Fall bei dem Bleistift, im zweiten bei meiner Haut. Dennoch beruehrte ich in beiden Faellen sowohl den Bleistift, als auch umgekehrt der Bleistift meine Haut. Ich spuere immer beides. Ich kann gar nicht den Bleistift spueren, ohne meine Haut zu spueren. Trotzdem nehme ich die Beruehrung des Gegenstandes und meiner Haut getrennt war. Die Beruehrung ist daher widerspruechlich. Sie ist sowohl different, als auch identisch. Diese Doppelnatur des Spuerens kann bereits aus dem Wort spueren, wie auch aus anderen Begriffen der Wahrnehmung, entnommen werden. Ich kann nicht etwas spueren, ohne mich selbst zu spueren. Auch das Sehen ist sowohl transitiv, als auch intransitiv. Ich kann nichts sehen, ohne mich (d.h. mein Sehen) zu sehen.

In der Kunst wird oft genau mit dieser Ambivalenz des Blickes gearbeitet. Indem die Wahrnehmung des Betrachters irritiert wird, indem er nicht oder nur teilweise einordnen kann, was er sieht, entsteht ein Vakuum, das die Selbstwahrnehmung in die Wahrnehmung des Kunstwerkes miteinbezieht. Es entsteht ein Wechselspiel der Beruehrung.

Das Experiment mit dem Bleistift zeigt, dass ich die Aufmerksamkeit der Wahrnehmung zwar entweder auf die Haut oder auf den Bleistift richten kann, aber eigentlich beides ein und dieselbe Wahrnehmung ist . Die Trennung von Objekt und Subjekt, die unser Bewusstsein bestimmt, loest sich Im Moment der Beruehrung auf.

12 February 2000